Aus der Geschichte
des Motorclub Werneuchen 1906 e.V.
Von rechts nach links: Karl Tiebel, Hermann Mittenzwey, Ernst Geuder, Gastwirt Hetzel (der Erbauer
von Haus und Saal "Stadtwappen"), links außen unbekannt
Die Stadt Werneuchen erlebte in den Jahren der Jahrhundertwende
1898-1904 eine rasante Entwicklung und Aufschwung. Die Chaussee
aus Berlin war bereits wichtigste Tangente nach Ostpreußen, Ver-
sorgungsstraße für Berlin und seit 1898 fuhr die Eisenbahn über
Werneuchen. Im Ort herrschte eine rege Bautätigkeit und überall wo
man hinblickte, hielten Technik und Maschinen Einzug in die alte
Ackerbürgerschaft.
Bei der Werneuchener Fahrradfirma Erich Hindenberg war der Mechaniker
Hermann Mittenzwey beschäftigt, der ein ungewöhnliches Können und
Wissen auf seinem Fachgebiet hatte. Er war ein begeisteter Sportsmann,
der keine Mühe scheute, junge Leute für den erwachenden Motorsport zu
interessieren und seine technischen Kenntnisse zu vermitteln. In der
"Stadt des Aufbruchs" besaß Werneuchen u.a. daher bereits 1904 eine für
die damalige Zeit ganz ungewöhnlich hohe Zahl an Motorradfahrern.
Gefahren wurden fast ausnahmslos belgische FN Motorräder und zwei
ADLER Motorräder mit 2 1/2 PS. Ernst Geuder war Hermann Mittenzweys
empfänglichster Schüler, und sie beschlossen, einen Motorclub zu gründen.
Durch Georg Tiebel, der damals als Bauführer einer großen Berliner Firma
den Bau des Waisenhauses Werftphul bei Werneuchen leitete und eine
Laurin & Clement (2 Zylinder-Motorrad mit Beiwagen) fuhr, bekamen sie
lebhafte Unterstützung, aber auch durch Erich Hindenberg, von der er-
wähnten Fahrradfirma. Am 20.März 1906 wurden alle Motorradbesitzer in
das Restaurant "Stadtwappen" eingeladen und einstimmig wurde von etwa
zwanzig Motorradfahrern der "Motorclub Werneuchen 1906 e.V." gegründet.
Zum ersten Vorsitzenden wurde Erich Hindenberg, zum 2. Vorsitzenden
Georg Tiebel und zum Schriftführer Ernst Geuder gewählt. Das Amt des
Fahrwarts wurde in die bewährten Hände Hermann Mittenzweys gelegt. Der
junge Club entwickelte sofort nach seiner Gründung eine ungewöhnliche
Rührigkeit. Das Triumvirat Geuder-Mittenzwey-Tiebel war die geistige Kraft-
quelle des Clubs. Ausfahrten, Picknicks und Rennen wechselten sich in
bunter Reihenfolge ab. Am 05.Mai 1907 wurde das erste große Motorrad-
rennen auf der Berlin-Treptower Radrennbahn vom Werneuchener MC
06 e.V. veranstaltet. Vollbesetzte Tribünen erbrachte einen Überschuß von
1.550 Mark. Die nur 312 m lange, sehr steile Zementbahn in Berlin-Treptow
wurde im Volksmund der "Nudeltopp" genannt. Im Stundenrennen gegen
die besten Fahrer der damaligen Zeit trat der Werneuchener Fahrer Ernst
Geuder auf einer FN 5 PS Rennmaschine mit vier Zylindern an und gewann
sensationell den "Großen Preis von Berlin" überlegen. Zum guten Schluß des
Renntages gewann er auch noch das in drei Läufen vorgesehene internatio-
nale Match über fünf Kilometer nach Punkten, nachdem er alle Läufe als
Erster beenden konnte, umbraust vom Jubel der sportfreudigen Berliner.
Ernst Geuder hatte für Werneuchen deutsche Motorsportgeschichte
geschrieben.
Die Winterfahrt anno 1906 (ein zeitgenössischer Bericht)
Am Morgen des 30.Dezember 1906 herrschte eine Kälte von ca. 5-6 Grad
und die Sonne schien auf die schneefreie Straße, als die drei Winterfahrer
(Richard Schaeske, Georg Tiebel und Ernst Geuder), wie die Eskimos einge-
mummt vor dem Clublokal Hetzel zur Winterfahrt über Neujahr nach Stralsund
eintrafen. Viele Werneuchener hatten sich zu ihrer Abfahrt eingefunden und
sie verabschiedet. Nach einer abenteuerlichen Fahrt erreichten die Drei
durchgefrohren, aber wohlbehalten Stralsund. Dort begeistert ob dieser un-
glaublichen Leistung begrüßt, wurden sie ausgiebig mit "Frostschutzmitteln"
(Glühwein und Grog) versorgt. Am Neujahrstag kehrten sie wohlbehalten nach
Werneuchen zurück und auch hier gab es einen feuchtfröhlichen Empfang.
Ein tolles Straßenrennen anno 1908
Am 19.Juli 1908 fand das erste Straßenrennen in Werneuchen statt, organi-
siert vom MCW 1906, allen voran Ernst Geuder. Die Strecke, die er selbst
aussuchte, betrug 25 Kilometer und wurde viermal durchfahren. Start war
am Chausseehaus Werftpfuhl in Richtung Werneuchen. Die Strecke führte
über Hirschfelde, welcher der einzige Ort war, der durchfahren wurde, weiter
in Richtung Gielsdorf, am Chausseehaus vorbei, mit einer sehr schweren
spitzwinkligen Linkskurve ( heute noch vorhanden). Am alten Heidekrug
vorbei ging es in Richtung Prötzler Chaussee, Richtung Gamensee, über den
Werftpfuhler Bahnübergang auf die heutige B 158 und wieder zum Start und
Ziel Chausseehaus in Werftpfuhl zurück. Ungeschlagener Sieger auf seiner
Hausstrecke war Ernst Geuder. Es folgten noch weitere Rennen bis in die
dreißiger Jahre auf diesen holprigen schwierig zu befahrenden Straßen.
(Ein Teil dieser Strecke führte über das heutige Flugplatzgelände) Für diese
"Dreieck-Rennen" wurden zur Erinnerung am 04.September 1926 Plaketten
in Dreiecksform vergeben. Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges (1914-18)
wurde das Clubleben eifrig gepflegt. Mit Motorrädern und Automobilen
wurde an verschiedenen Veranstaltungen und geselligen Ausfahrten teilge-
nommen. Doch der 1. Weltkrieg mit seinen schrecklichen Nachwehen für
Deutschland brachte das Vereinsleben ab 1914 praktisch zum Erliegen.
Bildmitte (mit Horn) Ernst Geuder, rechts neben ihm der Vorsitzende Georg
Tiebel, rechts außen Motorradfahrer Hegert, Werneuchen
Bedingt durch den Krieg und die Wirren danach, fanden sich erst 1924 die
motorsportbegeisterten Werneuchener wieder zusammen, um den Club
erneut zu beleben. Zu den Wiederbegründern gehörten u.a. wieder die
Pioniere der ersten Stunde: Betonwarenfabrikant Georg Tiebel; Futtermittel-
händler Ernst Wernicke; Emil Hindenberg, Inhaber einer Autoreparaturwerk-
statt; Emil Petrick, Baumeister; Reinhold Schmalle, Auto-Mechanikermeister.
Bald schlossen sich dieser Gruppe weitere Mitglieder an, die nicht in Werneu-
chen ansässig waren, wie Ernst Geuder, Lehrer aus Hohengüstow bei
Prenzlau. Es blieben auch einige Gastwirte von Ausflugsgaststätten nicht aus,
wie Albert Moschner und Willi Löchelt aus Tiefensee, die hier gleichzeitig ein
kommendes Geschäft sahen. Neuer Vorsitzender wurde Georg Bochnik,
Schornsteinfegermeister und ehemaliger Militärkraftfahrer. Durch den Eintritt
in den DMV (Deutscher Motorradfahrer Verband) ergab sich der Kontakt zu
Berliner Motorsportvereinen, wie z.B. aus Charlottenburg unter W.Epstein.
Dadurch bekamen die Veranstaltungen des MCW 1906 e.V. einen größeren
Rahmen, der weit über das ortsmögliche Maß hinausgehen konnte: Werneu-
chener Dreieckrennen (Straßenrennen für Motorräder), Märkische Herbstfahrt,
Winterfahrt Werneuchen-Prenzlau-Werneuchen. Die Rennen wurden mit
eigenen Tourenmaschinen, Werksrennmaschinen, Eigenbauten und Fabrik-
maschinen der Firmen BMW, D-Rad, Imperia, FN, Brough-Superior, Rocanova
u.a. ausgetragen. Bekannte Fahrer wie Paul Koppen, Julius von Krohn, W.
Epstein waren neben den clubeigenen Fahrern ständige Teilnehmer.
Eine Non-Stop-Fahrt Berlin-Lüttich
Das Problem, die für damalige Verhältnisse riesenhaft anmutende Strecke
von Werneuchen nach Lüttich mit dem Motorrad in einer pausenlosen
Fahrt an einem Tage zu bewältigen, hatte Ernst Geuder jahrelang beschäf-
tigt. Freunde hielten ihm immer vor, daß kein Fahrer imstande wäre, die
harten Stöße auf den damaligen Landstraßen einen ganzen Tag auszu-
halten. Am 18.Juli 1928 um 00:00 Uhr war dann der Start in Werneuchen,
mit dem KfZ-Meister Reinhold Schmalle als Sozius. Völlig erschöpft erreichen
sie am gleichen Tag nach 1.187 km um 22:28 Uhr Lüttich (siehe Foto).
Märkische Winterfahrt 1929
Es ist ein kalter 24.Februar als Fahrttermin festgelegt. 70 Nennungen lagen
vor, 59 Nennungen wurden aufrechterhalten. Die restlichen hatten gemeldet,
aber kein Startgeld gezahlt, in der Hoffnung bei einem Wetterumschwung
noch einspringen zu können. Was allerdings und mit vollem Recht, der Ver-
anstalter entschlossen vereitelte. Der "Schwarze Adler" war der Startpunkt
für das erste Fahrzeug um 07:30 Uhr. Unter anderem startete eine kleine
STOCK-Maschine von Wöhlert (Die Tochter des Fabrikanten Robert Stock,
Berlin, war mit dem Gutsbesitzer Müller aus Werneuchen verheiratet).
Schnee und Kälte machten den Fahrern große Schwierigkeiten, doch von
59 gestarteten Fahrzeugen kamen 28 strafpunktfrei im Ziel an.
Jeder der angekommenen Fahrer erhielt die vorzüglich ausgefallenen
Winterplakette.
Zu Beginn der dreißiger Jahre wurden die Rennaktivitäten dann mehr durch
andere motorsportliche Veranstaltungen, wie Zielfahrten, Orientierungsfahrten,
Fuchsjagden, Touristikfahrten usw. abgelöst, an denen sich nun auch Auto-
mobilisten beteiligen konnten, zumal die ursprünglich aktiven Motorradfahrer
auch meistens auf das Auto umgestiegen waren. Es fanden sich neue Mit-
glieder aus Bernau, Eberswalde und auch aus den umgebenden Dörfern.
Für die Werneuchener Jugend gab es jährlich einen besonderen Höhepunkt:
eine Kinderfahrt nach Tiefensee. An diesen Fahrten, die in Absprache mit der
Schule erfolgten, konnten alle Kinder zwischen zehn und vierzehn Jahren
kostenlos teilnehmen.
Am Zielort gab es eine Kaffeetafel, es wurden Spiele durchgeführt, Süßig-
keiten verteilt, es war ein richtiges Kinderfest, der Werneuchener Bürger-
meister und die Bevölkerung waren begeisterte Teilnehmer. Höhepunkt für
die Erwachsenen waren die Wintervergnügendes MCW im Saal des
"Schwarzen Adler" (heute noch erhalten). Hier traten u.a. Paul Lommel,
Sender Runxendorf, Kapelle Heinz Hupperts und Paul Baranek auf.
Zu den Veranstaltungen gehörten auch technische Vorträge und Reisebe-
richte u.a. wurde der bekannte Ozeanflieger Hermann Kohl für einen Vortrag
über seine Ost-West-Atlantik-Überquerung mit Hünefeld und Fitzmaurice
verpflichtet.
Das 25-jährige Clubjubiläum am 05.Mai 1931
Am 03. Mai 1931 ist das das erste Mal, daß in Deutschland ein Motorradclub
sein 25-jähriges Jubiläum feiern konnte. Das Jubiläumsfest entsprach in
seinem Aufbau ganz dem Charakter des Motorclub Werneuchen 1906 e.V..
Alle Veranstaltungen des Tages waren vollkommen kostenfrei, selbst der
Festball. Das Startgeld der Zielfahrt war den wirtschaftlichen Verhältnissen
angepasst (3 Mark), jedoch die gestiftete Plakette mit der 25 im Lorbeerkranze
zeigt eine derartige Ausführung, daß sie die Zierde jeder Sammlung werden
sollte.
"Am 3.Mai auf nach Werneuchen, der Stadt der Märkischen Herbstfahrt, des
ältesten deutschen Motorradklubs und der motor-sportlichsten städtischen
Verwaltung!" Festschrift vom 3. Mai 1931.
Ab 1934 wurde der MCW in die Ortsgruppe Bernau des DDAC (Der Deutsche
Automobil Club) übernommen.
Der Beginn des 2. Weltkrieges 1939 brachte jegliches gesellige Leben und
damit auch die motorsportlichen Aktivitäten zum Erliegen.
Ein neuer Start
Nach Kriegsende gab es praktisch keine Aktivitäten des MCW 06 e.V.. Er
geriet fast vollständig in Vergessenheit. Kurzzeitig waren einige Motor-
sportfreunde im ADMV, MSC "Bernauer Schleife" aktiv tätig (Motorsport,
Motocross und Touristik).
Nach der letzten "Bernauer Schleife" im Jahre 1973 wurden auch diese
Aktivitäten immer weniger und der Stützpunkt Werneuchen des MSC
"Bernauer Schleife" kam zum Erliegen.
Zitat Ernst Geuder 1958:
"Werneuchen liegt jetzt in der Sowjetzone und daher ruht dort der
Motorsport gänzlich. Sollte ich aber noch den Tag der Wiedervereinigung
erleben, so würde ich trotz meines Alters unverzüglich in meine alte
Heimat eilen, um dort den Motorclub Werneuchen 1906 wieder neu
zu gründen, um die neunundreißigjährige ruhmreiche Tradition fort-
zusetzen."
Aber dann:
Kurz nach der Wende besuchte Hubert Brosche aus Bad Segeberg den
Fahrradladen in Werneuchen und erkundigte sich nach dem Verbleib des
MC Werneuchen 1906 e.V.. Leider wußten auch wir (D.Thäle, A.Reuter
und D.Haarbach) keine Antwort, da wir bis dato von diesem Motorclub
kaum etwas wußten. Hubert Brosche, ein engagierter Oldtimerfreund,
hatte sich über Zeitungsartikel aus Motorradzeitschriften der 50er und 60er
Jahre intensiv mit der Geschichte des alten Werneuchener Motorclubs be-
schäftigt. Die Artikel wurden seinerzeit von Ernst Geuder verfaßt. Da auch
wir Motorsportfreunde waren und sind, machten wir es so wie unsere Vor-
fahren:
Wir suchten motorsportbegeisterte Mitstreiter zur Neugründung bzw.
Wiederbelebung des MCW 06 e.V.. Am 20.03.1992, genau 86 Jahre nach
dem Gründungsdatum, fanden sich etwa 20 Mitglieder zusammen, um den
neuen "alten" MCW 1906 e.V. aus der Taufe zu heben.
Gleichzeitig wurde mit der Sammlung und Sicherung der wenigen historischen
Plaketten, Fotos und Unterlagen begonnen.
Motorclub Werneuchen 1906 e.V.